Wie viel die Villa am See kostet – Artikel der Schwäbischen Zeitung vom 16.02.2021
Wirtschaftsausgabe – Schwäbische Zeitung – 16.02.2021
Wie viel die Villa am See kostet
Ein Münchner Start-up schätzt den Wert von Immobilien per Algorithmus – Verkaufspläne sind nicht notwendig
Das Münchener Unternehmen Scoperty möchte den Immobilienmarkt transparenter machen. Von Christina Mikalo
Ravensburg
Was kostet wohl eine Vier-Zimmer-Wohnung am Gespinstmarkt in Ravensburg? Oder ein Einfamilienhaus in Friedrichshafen mit Blick auf den Bodensee? Das Münchener Start-up Scoperty möchte Preise für Immobilien transparent machen. Mithilfe eines Algorithmus berechnet es dazu anhand von Daten wie der Grundstücksgröße, der Wohnfläche, der Lage und des örtlichen Mietspiegels Schätzwerte für Häuser und Wohnungen in ganz Deutschland – auch für solche, die gar nicht zum Verkauf stehen. Veröffentlicht werden die Werte auf einer Karte im Internet.
„Die Idee von Scoperty ist es, den Immobilienmarkt in Deutschland zu vergrößern, indem wir Eigentümer und Kaufinteressenten dazu anregen, über diese Werte miteinander in Kontakt zu treten und Angebote auszutauschen“, erklärt der Gründer und Geschäftsführer von Scoperty, Michael Kasch, den Zweck dahinter. Anders als Portale, die verbindliche und damit kostenpflichtige Angebote ausschreiben, möchte Scoperty Eigentümer und Kaufinteressenten aber erst einmal völlig unverbindlich in den Austausch miteinander bringen, erklärt Kasch. „Die Mehrheit der Eigentümer möchte zwar den Wert ihrer Immobilie schätzen, dafür aber nicht gleich einen Makler beauftragen“, ist er überzeugt.
Neu ist das Angebot nicht. „Auch die Immobilienbranche ist in der Zeit der Digitalisierung angekommen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl solcher Bewertungstools im Internet“, sagt der Immobilienmakler Stephan Prokschi aus Ravensburg. So können sich Eigentümer zunächst auf Scoperty registrieren und weitere Angaben zu ihrer Immobilie machen – beispielsweise zu deren Baujahr. Das präzisiere den vom Algorithmus errechneten Schätzwert. Anschließend können die Besitzer ihrer Immobilie auf den Status „Offen für Gebote“ stellen, um unverbindliche Gebote von potenziellen Käufern einzuholen und mit diesen auf Wunsch auch über einen Verkauf zu verhandeln. Eigentümer, die sich bereits sicher sind, dass sie ihr Haus oder ihre Wohnung verkaufen wollen, können ihrer Immobilie den Status „Zum Verkauf“ geben und ihr Eigentum kostenlos bei Scoperty zu einem festgelegten Verkaufspreis inserieren. Kaufinteressen haben nach einer Registrierung ebenfalls die Möglichkeit, selbstständig nach Immobilien zu suchen oder Scoperty ihre Präferenzen zu nennen, sodass das Unternehmen den Kontakt zu geeigneten Eigentümern herstellt.
Für potenzielle Käufer oder Verkäufer ist das Modell, das das Münchner Start-up anbietet, kostenlos. Bei Bedarf vermittelt Scoperty allerdings einen „vorqualifizierten Makler“, wie Kasch erläutert, in diesem Fall erhält das Unternehmen eine Provision. Benötigt ein Kunde für einen Kauf Geld, vermittelt Scoperty an den ebenfalls in München ansässigen Baufinanzierer Interhyp und erhält dafür eine Vergütung. Als Konkurrenz zum klassischen Makler sieht Prokschi dieses Geschäftsmodell nicht. Seiner Meinung nach wird eine Immobilie auch in Zukunft ein individuelles und wertvolles Gut bleiben, über das die meisten Menschen lieber mit einem professionellen Makler beraten wollen. Portale wie Scoperty hält Prokschi deshalb eher für nützlich, denn sie ermöglichen es, große und rasant wachsende Datenmengen, sogenannte Big Data, zu verarbeiten und zu analysieren. Für die Immobilienvermittlung könne das von Vorteil sein. „Daher glauben wir, dass diese Plattformen Kunden und Makler künftig weiter unterstützen und Entscheidungshilfe bieten können“, sagt Prokschi.
Dabei gibt es allerdings noch ein Problem: Die Schätzwerte, die Scoperty für Immobilien anbietet, sind aus Sicht des Maklers ungenau. So liegt der Preis für ein Haus in der Ravensburger Zeppelinstraße laut dem Portal zwischen 600 000 und 900 000 Euro – eine sehr weite Spanne, die beim Verkäufer eher Unsicherheit als Klarheit erzeuge. Scopertys Geschäftsführung weiß um die Schwachstellen seines Algorithmus. Dieser erkenne beispielsweise auch nicht immer, um welche Gebäudeart es sich bei einer Immobilie handele. „In diesen Fällen sind wir offen für Feedback unserer Nutzer, das uns hilft, die Daten zu verfeinern und so bessere Ergebnisse für alle zu erzielen“, sagt Kasch. Prokschi bezweifelt allerdings, dass ein verbesserter Algorithmus den Wert einer Immobilie exakt erfassen kann. „Jede Immobilie ist einzigartig und es spielen sehr viele verschiedene Faktoren wie zum Beispiel das Baujahr oder die Ausstattung in die Werteermittlung rein“, erklärt er. Bislang müssen Eigentümer diese Werte entweder händisch bei Scoperty eintragen oder darauf verzichten, weil die Webseite keine Möglichkeiten zu genaueren Angaben bietet. Problematisch findet Prokschi auch, dass Kaufangebote auf der Plattform nicht durch einen Fachmann verifiziert sind. Scoperty prüfe demnach nicht, ob es sich bei dem Kunden überhaupt um einen echten Interessenten handelt und falls ja, ob dieser sich die Immobilie leisten kann.
Zudem sieht Prokschi die Gefahr, dass die Plattform Spekulationen über Verkaufsabsichten anregen und damit Eigentümer in Bedrängnis bringen könnte. Bislang erfasst Scoperty die Schätzwerte für Immobilien automatisch. Wer das als Eigentümer oder Mieter nicht möchte, muss das Unternehmen bitten, seine Daten zu löschen. Glaubt man Scoperty, kommt das Angebot großteils gut an. „Nachdem wir im November 2020 gestartet sind, können wir bereits einen Zuwachs an Angeboten in ganz Deutschland beobachten“, teilt Michael Kasch mit. Langfristiges Ziel von Scoperty sei es, die Präsenz auf dem deutschen Markt zu erhöhen. Zurzeit bildet das Unternehmen laut eigenen Angaben Schätzwerte für 35 Millionen Häusern und Wohnungen ab.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 16.02.2021